Kristin Schumann, Geschäftsführerin der Blomesystem GmbH und Werner Blohm, Leiter des Wassergütemessnetzes beim Institut für
Hygiene und Umwelt in Hamburg zum Fischsterben an der Oder, erfolgreichem Gewässermonitoring und der Bedeutung von Wasserflöhen.
Frau Schumann, Herr Blohm, hätte sich das massenhafte Fischsterben an der Oder im Sommer 2022 durch ein besseres Gewässermonitoring vermeiden lassen?
Kristin Schumann (KS): Von außen lassen sich solche komplexen Abläufe kaum beurteilen. Allerdings wissen wir, was wir grundsätzlich brauchen, damit unsere Frühwarnsysteme für die Gewässer möglichst schnell und effizient funktionieren.
Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren?
Werner Blohm (WB): Zunächst einmal gilt: Am kontinuierlichen und automatisierten Messen führt kein Weg vorbei. Sogenannte Schnappschüsse reichen nicht aus, sie liefern keine ausreichenden Informationen, um die Ursachen von Wasserverunreinigungen zu ermitteln. Vielmehr benötigen wir lückenlose Reihen immer wiederkehrender Messungen.
KS: Wir sind heute in der Lage, auch größere Gewässer großflächig zu beobachten und zu dokumentieren – und zwar so, dass außergewöhnliche Einleitungen und unerwartete Verschmutzungen identifizierbar werden. In Kombination mit automatisierten Alarm-Algorithmen ermöglicht dies nicht nur eine effiziente Frühwarnung. Auch bei der nachträglichen Aufklärung und Beurteilung von Messwertüberschreitungen ist ein solches Vorgehen ungemein hilfreich. In Ergänzung bieten sich mobile automatische Messstationen an, die im Rahmen des investigativen Monitorings zu Ermittlungszwecken gezielt eingesetzt werden können.
Ist es überhaupt möglich, beziehungsweise wirtschaftlich machbar, die fast unendliche Vielzahl möglicher Schadstoffe dauerhaft zu überwachen?
KS: Bei den chemisch-physikalischen Parametern konzentrieren wir uns auf einige ausgewählte, die sich sehr gut als Indikatoren eignen. Aber das Frühwarnsystem basiert vor allem auf biologischen Wirkungstests – zum einen Algentoximetern, bei denen die Photosyntheseleistung der Algen überwacht wird, und andererseits Daphnientoximetern. Hier erfolgt die Überwachung des Verhaltens von Wasserflöhen, den Daphnien, per Kamera und digitaler Bildauswertung.
Ist es nicht sowieso gesetzlich geregelt, was und wie oft gemessen werden muss?
KS: Das lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Einerseits ja, denn die Wasserrahmenrichtlinie beziehungsweise die Oberflächengewässerverordnung fordert regelmäßige Messungen. Aber die Zustandsüberwachung von Oberflächengewässern wird hier oft nur auf Basis einer monatlichen oder gar vierteljährlichen manuellen Probenahme und darauffolgender Laboranalyse gefordert. Wer dann die Jahresmittelwerte mit der sogenannten Jahresdurchschnittsumweltqualitätsnorm vergleicht, erhält einen Überblick über den Zustand des jeweiligen Gewässers. Diese Werte reichen jedoch oft nicht aus, um bei einer festgestellten Überschreitung der Grenzwerte die Quelle der Verunreinigung zu erkennen. Und akute Bedrohungen, wie zum Beispiel im Fall der Oder, lassen sich auf diese Weise sowieso nicht rechtzeitig erkennen. Da ist dann sprichwörtlich schon zu viel Wasser den Fluss heruntergeflossen. Und die Labore wissen in solchen Fällen meist auch nicht, wonach sie gezielt suchen sollen. Zudem müssen manche Proben vor der Analyse entsprechend vorbereitet werden, was zusätzliche Zeit in Anspruch nimmt.
Wie lassen sich diese Abläufe beschleunigen?
WB: Bei Probenanalysen findet ein Labor natürlich immer nur das, wonach es auch sucht. In der Regel finden hier Screenings nach bestimmten vordefinierten Stoffen statt. Aber auch dieses Vorgehen funktioniert nur, wenn Vergleichswerte vorliegen – vor allem die Werte von unbelasteten Proben und idealerweise auch zeitlich nach einem Schadstoffeintrag. Der Vergleich dieser drei Proben zeigt dann, bei welchen Stoffen die größten Unterschiede bei den Messwerten bestehen, und das Laborteam kann sich auf diese Werte konzentrieren und muss nicht alle Peaks untersuchen. Das spart viel Zeit ein und führt zu schnellerem Handeln.
Was ist über das Messen hinaus noch wichtig für schnelle Abläufe?
WB: Auswertung, Interpretation und Kommunikation der Messwerte kommt eine zentrale Bedeutung zu, wie auch das Beispiel der Oder wieder gezeigt hat. Wenn etwas gehörig aus dem Ruder läuft, muss es schnell gehen und es müssen verlässliche Schlussfolgerungen vorliegen. Hierbei unterstützt vor allem auch die grafische Umsetzung der jeweiligen Messergebnisse, wie wir sie zum Beispiel in Hamburg immer weiter ausgebaut haben. Bilder statt Zahlenreihen verbessern nicht nur die Kommunikation zwischen den Ämtern und der Öffentlichkeit, sondern auch zwischen den unterschiedlichen Verantwortungsträgern innerhalb der Verwaltung. Wir nutzen unter anderem für diese grafische Aufbereitung die Software-Lösung ENMO®hydro der Blomesystem GmbH. Das Softwaresystem bildet alle Workflows für die Arbeiten im Messnetz ab, wertet die Daten aus, exportiert sie und stellt sie den Wünschen der Anwender folgend tabellarisch oder grafisch dar.
KS: Das Beispiel ENMO®hydro veranschaulicht, wie wichtig Automatismen sind. So löst das System selbsttätig eine Probennahme aus, wenn bestimmte Grenzwerte über- oder unterschritten werden. Diese Proben werden dann ins Labor überführt, für detailliertere Analysen. Zudem protokolliert und dokumentiert die Software-Lösung jeden Schritt, sodass sich mithilfe der Daten auch alle Berichtspflichten erfüllen lassen, die zum Beispiel die EU-Richtlinien oder nationale Gesetze fordern. Wir haben es hier mit vielen Millionen Messwerten pro Jahr zu tun. Das kann keine Behörde mehr manuell leisten, sondern nur mithilfe eines Systems, dass diese Messwerte nicht nur erhebt, sondern diese auch weiterverarbeitet und die Ergebnisse exportiert.
Wie oft kommt es vor, dass Messstationen fehlerhafte Werte übermitteln?
WB: Vor allem die Sensoren müssen häufiger neu kalibriert, gereinigt oder auch ausgetauscht werden. Aber auch diese Wartung und Qualitätssicherung steuern wir heute softwaregestützt und damit teilautomatisiert. So müssen wir heute nicht mehr jedes Mal zu den einzelnen Messstationen rausfahren und manuell überprüfen, ob diese korrekt funktionieren. Nur wenn unsere Softwarelösung fehlerhafte oder potenziell fehlerhafte Messungen anzeigt, muss sich der Wartungsdienst auf den Weg in die jeweilige Messstelle machen. Dies spart natürlich auch zahlreiche Wege, viel Zeit und Ressourcen ein.